Weiden für mehr Biodiversität
Bei Wanderungen in den Alpen und im Jura begeistern die extensiven Weidelandschaften immer wieder auf das Neue. Blütenreiche Weiderasen prägen die Landschaft, Schmetterlinge kreuzen den Weg, das Zirpen der Heuschrecken und Singen der Vögel sind ständige Begleiter während der Wanderung. Wenn man sich Zeit nimmt, kann man den Ameisen dabei zusehen, wie sie ihre riesigen Bauten errichten und mit Glück entdeckt man Enziane oder Edelweiss. Die Weiden strotzen nur so vor Strukturvielfalt: Zwergsträucher, lichte Wälder und offene Weiderasen wechseln sich ab und bilden ein Mosaik aus verschiedenen Lebensräumen. Ein Mosaik, das Heimat von unzähligen Tier- und Pflanzenarten ist und ohne die weidenden Nutztiere nicht in diesem Ausmass bestehen würde. Denn die weidenden Nutztiere gestalten durch ihren Frass, Tritt und Dung massgeblich die Landschaft und schaffen Habitate für unzählige andere Arten.
Vielen ist nicht bewusst, dass früher ähnliche Landschaften auch in den tiefen Lagen der Schweiz weitverbreitet waren. Es wird geschätzt, dass extensive Weiden ganze 2/3 der Fläche Mitteleuropas ausmachten. Heute sucht man sie in den Tieflagen vergebens. Ackerbau, intensive Weiden und Wiesen prägen das Landschaftsbild. Unsere Naturschutzgebiete, die grösstenteils auch einmal Teil dieser Weidelandschaft waren, werden heute weitestgehend gemäht und von Rind und Pferd fehlt jede Spur. Während die Wichtigkeit des Bibers als Gestalter ganzer Flusslandschaften in den letzten Jahren immer mehr erkannt wurde, wird die Rolle, die Weidetiere für unsere Biodiversität spielen, vor allem in den tiefen Lagen, noch meist unterschätzt.
Die Wichtigkeit der Weidetiere für die Biodiversität zu zeigen, war das Ziel der Fachtagung Naturschutzweiden, die am 23. September in Sissach stattfand. Sie wurde im Rahmen der Kulturlandaktion Hase & Co. BL-SO organisiert. Mehr als 120 Teilnehmende hörten gespannt zu, was Fachpersonen aus dem In- und Ausland über Beweidung im Naturschutz berichteten. Die Themen der Beiträge reichten von der Landschaftsgeschichte Mitteleuropas, über Wasserbüffel im Kanton Aargau bis zu Waldweiden im Kanton Solothurn. Die Beiträge zeigten auf, wie wir mit Rind und Pferd unsere Biodiversität zurückholen können und machten auf Zusammenhänge aufmerksam, die im Naturschutz bis jetzt nur ungenügend beachtet werden. Wussten Sie zum Beispiel, dass der Dung eines Rindes jährlich bis zu 100 kg Insektenbiomasse produziert? Oder, dass bei der Mahd, auch mit schonenden Methoden wie dem Balkenmäher, bis zu 50 % der Insekten sterben können?
Das Fazit der Tagung: Der Lebensraum Weide verdient eindeutig mehr Aufmerksamkeit in den tiefen Lagen der Schweiz. Was es braucht, sind grosse, zusammenhängende, extensiv beweidete Landschaften. Diese sollen sich nicht nur auf das Offenland beschränken, sondern in geregeltem Mass auch den Wald beinhalten, wo durch den Frass der Tiere, lichte Weidewälder entstehen. So kann zumindest ein kleiner Teil, der ehemals grossen Weidelandschaft in den tiefen Lagen der Schweiz wiederhergestellt werden.
Simon Lehnert, Mitorganisator Fachtagung PN BL